Matilda war drei Monate alt, als ich in London zum ersten Mal mit dem Kinderwagen in den Bus stieg. Es war easy. Die Briten sind nicht umsonst für ihre Höflichkeit und Hilfsbereitschaft bekannt. Hakte es irgendwo mit dem Wagen, war sofort eine helfende Hand zur Stelle. Als wir uns entschieden, in New York ein schönes Haus in einer nicht so schönen Gegend zu mieten, war das für mich völlig in Ordnung. Ich konnte ja jederzeit und ganz einfach mit dem Bus in die schönen Gegenden fahren. Pustekuchen.
Mein erstes Mal war traumatisch. Irgendwas mit dem Kinderwagen sagt der Busfahrer als ich mein Ticket bezahle. Aber wie so oft in den ersten Tagen in Brooklyn verstehe ich nur die Hälfte. Es hatte sich angehört wie „Kinderwagen zusammenklappen“, aber das kann ja nicht sein… In Ermangelung von ausgeschriebenen Kinderwagen- und Rollstuhl Plätzen, quetsche ich mich samt Wagen an den einzigen als optionalen Rollstuhlplatz ausgezeichneten Sitz. Nach zwei Stationen bemerke ich die Blicke des Busfahrers im Rückspiegel, an Station drei fordert er mich über Mikro auf, meinen Kinderwagen endlich zusammenzuklappen und zu verstauen. Ich starre ihn entgeistert im Rückspiegel an, signalisierte körpersprachlich ein vehementes „wie denn bitte schön?“. „I’ts not my rules“, kommt da lakonisch aus dem Lautsprecher. Matilda sitzt auf meinem Schoss, ich wünsche mir zwei zusätzliche Arme, um die Kleine halten und gleichzeitig den Kinderwagen auseinander bauen zu können. Helfende Hände? Fehlanzeige! Also fluche ich leise auf Deutsch vor mich hin, drücke Matilda schließlich ungefragt der schwarzen Dame neben mir auf den Schoss und wuchte Gestell und Aufsatz auf den Behindertensitz neben mir. „Not there“ - kommt es über Mikro. „Under your seat!“
Habt Ihr New Yorker kein Herz für Babies?…möchte ich gerne fragen. Lasse es aber beim Blick in den Rückspiegel bleiben. Rules are rules.
Mein schönes Kartenhaus war innerhalb von drei Busstationen in sich zusammengefallen. Der Möglichkeit beraubt, mit der Kleinen mal eben schnell in den Bus steigen und nach Cobble Hill fahren zu können, fühle ich mich augenblicklich eingesperrt und isoliert. Denn dass die wenigsten U-Bahn Stationen einen Lift haben und die Tube somit auch keine entspannte Option ist, das hatten mir meine New York erprobten Freunde bereits vorher gesagt.
Nur frage ich mich: Warum dürfen Jugendliche ihre riesigen Koffer mitten in den Gang im Bus stellen? Und Alte ihre Rollatoren dort parken und warum wird es nur Müttern so schwer gemacht? Und vor allen Dingen: Warum wehren sich die Mütter New York’s nicht gegen diese Form der Diskriminierung? Weisse wie schwarze? Am Besten gemeinsam? Dann dämmert es mir. Ich bin eine der wenigen Mamas, die unter der Woche mit ihrem Baby mit den Öffentlichen unterwegs ist. Während die Mütter der weissen New Yorker Babies arbeiten, kümmern sich die schwarzen Nannies um selbige und bleiben größtenteils im eigenen Hood. Der Spielplatz um die Ecke, die Bibliothek drei Blocks weiter, that’s it. Auf die große Solidarisierung unter Müttern darf ich also vermutlich nicht hoffen. Die meisten weissen amerikanischen Mütter küssen ihre Babies morgens zum Abschied und abends zum Schlafengehen und verbringen am Wochenende quality time mit Kind und Ehemann - aber ganz sicherlich nicht in Bus und Bahn. Dann wird sich ins Auto gesetzt und die nächste Mall oder der nächste Freizeitpark angesteuert.
Mit dem Abstillen ist es wie mit Sex mit einem Mann, von dem man insgeheim weiss, dass er es nicht ist. Man weiss nie, wann es das letzte Mal war. Man hätte es zelebrieren mögen, es als das letzte Mal abspeichern wollen. Aber dann ist es plötzlich geschehen. Genau wie mit dem Abstillen! Von heute auf morgen ist das Fläschchen mit der Formula plötzlich ok, meine Brüste fühlen sich seltsam leer an und ich erkenne, dass etwas zu Ende gegangen ist. Dass eine neue Ära begonnen hat, in der ich zwar ein großes Stück meiner Freiheit wiedergewinne, aber auch ein ebenso großes Stück Verbundenheit zu Matilda verliere. Im Moment des Erkennens werde ich wehmütig. So sehr ich das Stillen manchmal verflucht habe - man erinnere sich nur an wunde Brustwarzen und Milchstaus - so schwer fällt mir nun der Abschied. Ich werde diesen innigen Blick vermissen, diese unausgesprochene Übereinkunft. Ich werde den zufriedenen Seufzer vermissen, mit dem meine Tochter manchmal an meiner Brust einschlief, mit diesem verzückten Lächeln auf ihren Lippen. Ich werde es vermissen, sie so lange im Arm halten zu dürfen.
Meine Brüste sind noch ein wenig verwirrt, war es das wirklich? Als Matilda eine Erkältung hat und nach jedem Husten weint, produzieren sie plötzlich wieder Milch, als wollten sie sagen: Los, wir müssen sie doch trösten! Nichts tröstet so gut wie eine Runde an Mamas Brust. Und Recht haben sie. Aber irgendwann muss doch Schluss sein, sagt die Vernunft, die Frau in mir, die ihre Brüste gerne auch wieder zurückhätte. Und sie doch mit ganz anderen Augen sieht - diese Wunder der Natur! Diese aberwitzigen Künstler, die Angebot und Nachfrage in Minuten angleichen. Die bis zur nächsten Fütterung die Antikörper produzieren, die das Baby nach einer durchniesten Fahrt in der U-Bahn braucht. Ich habe den allergrößten Respekt vor meinen Brüsten und werde ihnen auf ewig dankbar sein für die grossartige Arbeit, die sie geleistet haben.
Fast werde ich wieder schwach, als Matilda so unter ihrem Husten leidet, fast möchte ich sie wieder in den Arm nehmen, ihr den besten Trost geben, den ich als Mutter zu bieten habe. Doch am gleichen Abend bietet mir mein Mann an, doch jetzt auch mal die Nachtschicht übernehmen zu können - zumindest am Wochenende. Punkt 22 Uhr drücke ich meinem Mann Babyfone und Milchfläschchen in die Hand und mir selbst Oropax in die Ohren. Oh, welch himmlischer Schlaf!